In letzter Zeit begegnen mir immer wieder Kampagnen gegen die Vergeudung von Lebensmitteln. Auf den ersten Blick wirken solche Initiativen sehr vernünftig. Auch auf den zweiten Blick?
Was ist schlimm, wenn Lebensmittel in den Müll geworfen werden? Der Wurst, dem Brot oder dem Käse tut es sicher nicht weh, wenn sie weggeworfen werden. Und ich lebe viel lieber in einem Land, das 50 % zu viel Lebensmittel hat, als in einem Land, in dem es 50 % zu wenig Lebensmittel gibt.
Trotzdem sträubt sich das Gefühl gegen solch eine These. Lebensmittel sind doch etwas Wertvolles, das darf man doch nicht wegwerfen, nicht einmal zur Wärmeerzeugung verbrennen. Woher kommt dieses Gefühl?
Ein Argument könnte lauten, dass andere Menschen verhungern, weil ihnen diese Lebensmittel fehlen. Abgesehen davon, dass diese Argumentation im wörtlichen Sinne ziemlich krude ist (wie soll mein altes Schinkenbrötchen nach Afrika kommen, und falls das klappt, was macht das mit den afrikanischen Bauern?) wundert es doch sehr, dass diese Bedenken in einem anderen Fall gar nicht zu hören sind. Dann nämlich, wenn ein Weizenfeld durch eine Autobahn ersetzt wird. Oder durch einen Golfplatz. Ob ich aber Getreide wegwerfe oder erst gar nicht erst wachsen lasse kommt sich hinsichtlich der Hungerdiskussion gleich. Wo wäre der Unterschied, ob ich auf einem Hektar Land Holz anbaue zum Verbrennen oder Getreide zum Verbrennen?
Eine andere Argumentation wäre die Missachtung der Arbeit der Menschen, die das Brot, den Kuchen oder das Gemüse produziert haben. Ich halte das für das zentrale Argument: Wenn wir Produkte unnötig wegwerfen, dann werfen wir die Lebenszeit der Produzenten weg. Sie werden unnötig in das Arbeitsleben eingespannt. Aber solange wir in einer Kultur leben, die „Arbeitsplätze“ schaffen will, ist es doch scheinbar nur gut, wenn durch Lebensmittelvernichtung Arbeitsplätze geschaffen werden. Wie durch so vieles andere, was weggeworfen wird. Für das Abwracken von Autos gibt es sogar Prämien.
Ein weiterer Punkt wäre der Ressourcenschutz. Warum erst Energie, und Düngemittel einsetzen, um die Produkte dann zu vernichten? Das gilt aber genau so für das Wegwerfen von vielen tausend anderen nicht essbare Produkte, vom überflüssigen Verpackungskarton bis zur kaum getragenen Kleidung. Bei einer idealen, nachhaltigen Landwirtschaft könnte man sogar davon ausgehen, dass sie Land und Luft nur verbessert, je mehr Landwirtschaft betreiben wird, auch wenn die Erzeugnisse wieder kompostiert werden. Die Natur macht es jeden Herbst vor, wenn tausende von Tonnen von Laub und Kräutern „vernichtet“ werden.
Ein bedenkenswerter Grund gegen die Vernichtung von Lebensmitteln wäre Respekt vor den Tieren. Kühe zu schlachten, und das Fleisch dann wegzuwerfen, kann man als eine Missachtung des Tieres empfinden. Ansonsten gilt: Funktionsfähige Handys wegzuwerfen ist nicht mehr oder weniger, gut als überschüssige Tomaten wegzuwerfen.
Das Thema Lebensmittelverschwendung ist in Mode gekommen, Sozialverbände und Umweltverbände rufen nach dem Staat. Und wie gehabt zieht der Staat dieses Thema an sich, behauptet Lösungen zu haben, macht Gesetze, ruft Aktionswochen aus und erklärt seinen Wählern das Problem der Lebensmittelverschwendung.
Eine der staatlichen Maßnahmen ist: Diebstahl von entsorgten Lebensmittel soll straffrei bleiben. Die Haltung ist: „Ihr dürft zwar am Wirtschaftssystem nicht fair teilnehmen, aber dafür drücken wir ein Auge zu, wenn ihr verschimmelten Käse klaut.“
Es werden mal wieder mit viel Geschrei Symptome bekämpft. Der Staat soll es richten - und auf der Stecke bleiben der ernsthafte Blick auf die sozialen Zusammenhänge und wirklich menschengerechte Reformen.
(Dezember 2024)