Die Gemeinwohlökonomie (GÖ) verspricht Impulse zur Lösung der aktuellen ökologischen, sozialen und ökonomische Krisen. Bei näherer Betrachtung handelt es sich um ein Schema, das auf staats-autoritären Maßnahmen beruht und eben gerade nicht Raum für den mündigen Menschen geben wird.
Dies soll im Folgenden genauer untersucht werden, bezogen insbesondere auf die Seite https://germany.econgood.org/mission-geschichte/ und auf das „Gemeinwohl-Gemeinwohl-Handbuch“ und andere Quellen.
Es gibt ja vieles, was auf den ersten Blick mit sozialer Dreigliederung zusammen passen könnte. Zum Beispiel
„Die Unternehmen kooperieren intelligent und tragen zu resilienten Strukturen bei“ - könnte man frei übersetzen als Beitrag zu Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben. Ebenso: Menschen können „ihre Talente und Fähigkeiten einbringen und auf diese Weise sinnvoll und kooperativ zum Wohl der Allgemeinheit beitragen.“
„Es bleiben Freiräume für Familie, Kinder, ältere und nahestehende Mitmenschen sowie für Muße, Kultur und die persönliche Weiterentwicklung.“ - könnte man locker übersetzen mit „freies Geistesleben.“
„Schöpferische Unternehmenstätigkeit führt zu innovativen Lösungen für das Gemeinwohl.“ Ebenfalls Geistesleben, allerdings schon nicht mehr ganz frei sondern eingeschränkt auf das Gemeinwohl.
Meine Kritik ist, dass die GÖ den Pol des Rechtslebens nicht reflektiert und daher am Ende ziemlich genau das Gegenteil dessen erreichen wird, was sie hinsichtlich brüderlichem Wirtschaften und individueller Entwicklung vorgibt anzustreben.
Um es gleich am dicken Ende anzupacken: GÖ schlägt vor: „Das internationale Gewaltmonopol liegt bei der demokratisierten UNO.“ Der GÖ schwebt also nichts weniger als eine Weltregierung vor. Solch eine Weltregierung wird überhaupt nichts lösen können. Ihr wird jede Kompetenz fehlen, denn wo sollte diese herkommen? Aus demokratischen Wahlen entsteht keine Kompetenz. Das ist ja schon bei wesentlich kleineren Demokratien der Fall: Die gewählten Volksvertreter fragen Experten um Rat. Diese Experten können prinzipiell nicht demokratisch legitimiert sein. Sie agieren als Lobbyisten. Und wenn es dann nicht mehr nur um ein kleines Land geht, sondern gleich um die ganze Welt, werden diese nicht legitimierten Lobbyisten mit aller Kraft die Welt-Machtzentrale stürmen. Und am Ende ist es die übelste Diktatur. Und das nur deshalb, weil nicht reflektiert wurde, was Demokratie ist, was sie kann und was sie nicht kann.
Ein weiteres Instrument der GÖ sind „Gemeinwohlbilanzen“. In diesen wird akribisch zusammengetragen, ob ein Unternehmen „gemeinwohlorientiert“ ist. Nun kann man sicher nichts dagegen einwenden, wenn sich ein Unternehmen nach irgendeiner Methode freiwillig einstufen lässt. Die GÖ sieht allerdings vor, dass diese Bilanzen Staatsmacht auslösen: Wer in seiner Gemeinwohlbilanz eine hohe Punktzahl vorweisen kann, soll staatlich gefördert werden, wer keine oder nur ein schlechte Bilanz vorzeigen kann, soll bestraft werden.
Eines von hunderten von Kriterien solch einer Bilanz ist zum Beispiel „Ein Großteil der Produkte löst wesentliche gesellschaftliche Probleme laut UN-Entwicklungszielen.“ Woher soll die UN wissen, ob ein neuartiger Druckluftkompressor, ein Silikon-Abstandshalter für Stecker oder ein Grafikprogramm wesentliche gesellschaftliche Probleme löst oder nicht?
Das liefe darauf hinaus, dass eine nicht demokratisch legitimierbare Weltregierung weltweite Ziele vorgibt und diese bis ins kleinste Dorf autoritär durchsetzt. Wo ist da noch Platz für freie Menschen?
Ob ein Unternehmen etwas Sinnvolles für mich als Verbraucher produziert, das kann doch nur ich selber als Verbraucher beurteilen. Und Brüderlichkeit wäre ja genau dies: Für den anderen etwas herstellen, was dieser braucht, und auch ich bekomme das, was sich brauche. Und wir einigen uns auf vernünftige Tauschverhältnisse. Mit den Gemeinwohlbilanzen hingegen wird das, was eigentlich nur von Mensch zu Mensch beurteilt werden kann in ein kompliziertes eindimensionales Bewertungsschema gepresst. Und dieses Schema löst dann automatisch Belohnungen und Bestrafungen per Staatsgewalt aus. Das chinesische System der Sozialpunkte lässt grüßen.
Schon der Begriff „Gemeinwohlökonomie“ schräg. Was soll in einer Gesellschaft von immer individueller werdender Menschen das (all)gemeine Wohl sein? Vielleicht ein verbindlicher Rechtsrahmen für Dinge, die nur per Demokratie entschieden werden können. Das wäre aber keine Ökonomie. Und auch die Freiheit, dass sich Menschen individuell entfalten können und sich in Idealfall geistig gegenseitig befruchten wäre auch allgemeines Wohl, hat aber mit Ökonomie nichts zu tun. Insofern ist die Gemeinwohlökonomie ähnlich dem Marxismus, der alles aus der Ökonomie heraus lösen will - Rudolf Steiner ist nicht müde geworden, genau diese Haltung anzugreifen.
Trotzdem halte ich die Motive der Menschen, die sich für GÖ interessieren, für redlich. Der Unmut darüber, dass wir in ungerechten Verhältnissen leben, dass unsere Freiheit angegriffen wird und dass mit unserer Art zu wirtschaften etwas nicht stimmt, ist ja völlig berechtigt, und ist der zentrale Antrieb für Veränderungen. Nur werfe ich der GÖ vor, dass sie zu oberflächlich die Symptome bekämpft, zu wenig reflektiert handelt und somit wie dargestellt eher zur Verschlimmerung beitragen wird.
Damit hätte ich das Wichtigste gesagt, was ich nun noch mit ein paar Beispielen illustrieren möchte.
Ein Anliegen der Gemeinwohlökonomie ist es, den Anreizrahmen für die Wirtschaft umzupolen von dem Gewinnstreben auf das Gemeinwohlstreben. Hierzu sollen Unternehmen für gegenseitige Hilfe und Zusammenarbeit belohnt werden.
Das ist ein Widerspruch in sich ist: Belohnung ist nur für den attraktiv, der nach Gewinn strebt. Wer keinen Gewinn und keinen Vorteil anstrebt, der ist auch mit einer Belohnung nicht zu ködern. Wer für nicht-egoistisches Verhalten eine Belohnung verspricht, fördert damit den Egoismus. Ein Widerspruch in sich. Die Sache ist also nicht ehrlich durchdacht. Richtig wäre hingegen, Anreize durch persönliche Bereicherung generell herauszunehmen oder zumindest einzudämmen: Zum Beispiel keine Verkäuflichkeit von Kapital und Boden. Denn diese dient immer nur der persönlichen Bereicherung, und nie dem Austausch von Arbeitsleistungen. Davon höre ich von Seiten der GÖ nichts.
Gemeinwohlbilanzen als Tor zur Korruption
Gemeinwohlbilanzen werden in einem sehr kompliziertes Verfahren mit über zwanzig Kriterien-Gruppen erstellt, die alle durch externe Prüfer kontrolliert werden sollen.
Da die meisten Ziele sehr weich sind, bildet sich ein Eldorado für zwielichtige Berater und Gutachter. Ähnlich wie heute Steuerberater Firmen bei deren Steuergestaltung helfen (ohne dabei gesellschaftlichen Wohlstand zu erzeugen), wird man drehen und verschleiern in noch einem viel schlimmeren Ausmaß. Und selbst wenn alle nach bestem Wissen und Gewissen diese Bilanzen erstellen, würden dadurch erhebliche menschliche Ressourcen gebunden. Man stelle sich nur mal vor, der Schreiner um die Ecke müsste mit einem Gutachter diskutieren, ob Park-Sitzbänke mehr zum Gemeinwohl beitragen als Jägersitze, warum er eine Gesellin entlassen hat und ober er auch immer nett zu seinem Werkzeuglieferanten war? Eine wahre Horrorvorstellung.
Die Gemeinwohlökonomie will Firmen unterstützen, die sich sozial engagieren
Ja, meinetwegen: schön, wenn sich Firmen sozial engagieren. Aber wozu brauche sie dafür eine Unterstützung? Und was ist mit sozial gemeint? Bestimmen dann die Besitzer der Firmen, welche Stücke im Theater gespielt werden? Ist Bill Gates besonders gemeinwohlorientiert, weil er Schulen Computer schenkt?
Selbstverständlich ist ein freies Geistesleben auf Mittel aus der Wirtschaft zwingend angewiesen. Wie diese Mittel frei und möglichst bedingungslos übertragen werden sollen, ist eine schwierige Frage. Sie kann nicht mit einem Abhaken von Kreuzchen auf einem Schema gelöst werden.
Die Gemeinwohlökonomie will die Firmen dazu verpflichten, dass sie jedem Mitarbeiter ein freies Sabbatjahr geben. Die Gemeinwohlökonomie will den Arbeitsmarkt entlasten, indem sie die Arbeitszeit gesetzlich beschränkt.
Erstens ist es nicht die Ökonomie, die das durchsetzt kann, sondern der demokratisch Staat (beides wird von den Verfechtern der GÖ durchgehend vermischt). Außerdem entscheiden darüber nicht die Verfechter der GÖ sondern eben der demokratische Staat. Wenn gemeint ist, dass die Politik den äußeren Rahmen der Arbeit bestimmt, dann passt dieser Punkt zur Dreigliederung.
Die Gemeinwohlökonomie will das Bildungssystem gemeinwohlorientiert machen.
Thema verfehlt: Überhaupt auf die Idee zu kommen, das Bildungssystem in einem Atemzug mit der Ökonomie oder einem Gemeinwohl zu nennen, ist nicht am Kindeswohl orientiert. Obendrein wird die Freiheit der Schule weiter eingeschränkt, wenn immer mehr Inhalte von ökonomischer oder politischer Seite in die Schüler gedrückt werden. Ein Wirtschaftssystem, das die dazu passenden Menschen erst noch erzeugen muss, weckt zudem unangenehme historische Erinnerungen.