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Fairer Handel - nur gut für's Gewissen?

Unter fairem Handel stelle ich mir ein ausgeglichenes Geben und Nehmen vor: Wir tauschen unsere Leistungen gegenseitig aus und können dann alle davon gut leben. Stehen wir in einem wirklich fairen Verhältnis zu den Kaffeepflückern, wenn wir fairen Kaffee kaufen? Um das zu prüfen, müsste man unsere Einkommen mit denen der Kaffeepflücker vergleichen. Ich habe bezüglich des Einkommens auf sehr vielen Seiten von und über fairem Handel blättern müssen, um zwischen bunten Bilden und moralischen Sätzen solche Zahlen zu finden. Aus den wenigen und dünnen Quellen, die ich gefunden habe, ergibt sich: Kaffeepflücker in Honduras oder in Brasilien müssen fünf bis zehn mal so viel arbeiten wie wir, um dafür im Handel das gleiche Produkt zu erhalten. Für ein paar Nike-Schuhe muss die Kaffeepflückerin in Honduras 31 Stunden arbeiten, wir nur fünf. Für eine Toyota Corolla Limousine Comfort arbeitet man auf einer Kaffeeplantage in Brasilien 400 Wochen, in Deutschland nur 42 Wochen. Von fairem Austausch auf Augenhöhe kann also keine Rede sein! Rechengang siehe hier.

Vertreter von fairem Handel würden sicher sagen, dass es den Produzenten von fair gehandeltem Kaffee doch relativ besser ginge als anderen. Dann sollten sie aber bitte auch nur von „farirerem“ Handel sprechen. Und sie würden erwidern, dass das ja nur ein Anfang wäre und es nach und nach immer besser würde. Fairen Handel gibt es seit über 40 Jahren, und auf den einschlägigen Foren wird diskutiert, ob dieser heute wenigstens dazu beiträgt, das Existenzminimum zu erreichen. Was soll sich da verbessert haben? Und warum sollte es in Zukunft besser werden?

Warum sind wir trotz „fairem Handel“ immer noch so weit entfernt von fairem Handel?

Wenn die Bauern durch fairen Kaffee wirklich mehr einnehmen würden, dann würden ja noch mehr Menschen anfangen, im Kaffeebereich zu arbeiten, und das Angebot für Kaffee würde noch höher. Dadurch würde jedoch nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage der Kaffeepreis sinken. Dann werden zumindest die nicht am fairen Handel beteiligten Kaffeebauern merken, dass ihr Einkommen noch weiter sinkt. Der Aufschlag für fairen Kaffee müsste höher und höher werden, und die konventionellen Kaffee-Arbeiter müssten immer ärmer und ärmer werden. Bisher wird das nur nicht bemerkt. Sei es, weil der Fair-Trade-Anteil noch zu gering ist, sei es, weil der Kaffeebauer bei Fairtrade unterm Strich wohl doch kein merkbar höheres Einkommen hat. Oder sei es, dass Produzenten oft gleichzeitig fairen und konventionellen Kaffee produzieren, und sich die Effekte für sie aufheben. Vielleicht trifft diese abstrakte Überlegung in der Realität ja auch voll zu und erklärt genau die Frage, warum es nicht wirklich fairer wird.

Dieses Argument der Überproduktion könnte auch von liberaler Seite kommen, als eine „Störung von Angebot und Nachfrage“. Der Unterschied ist aber der, dass liberal gedacht, sich der richtige Preis von alleine einpendelt. Was er aber empirisch gesehen nicht tut, sonst wäre ja nie eine Fair-Trade-Bewegung entstanden - liberaler Handel ist somit mitnichten fair.

Wenn wir meinen, dass ein Produkt zu billig sei und die Hersteller dieser Produktes ein zu geringes Einkommen erhalten, dann muss man nicht etwa die Arbeitskräfte in diesen Bereich besser bezahlen, sondern Arbeitskräfte aus diesem Bereich abziehen und dorthin überleiten wo die Produkte zu teuer und die Einkommen zu hoch sind. Genau so hat sich Rudolf Steiner im Nationalökonomischen Kurs geäußert (a).

Was wäre also die Alternative zum bisherigen fairem Handel, mit seinem eher karitativen Ansatz? Man müsste die Zahl der Kaffee-Arbeiter reduzieren. Man müsste ihnen Arbeitsplätze anbieten bei der Herstellung von Produkten, die wir als zu teuer empfinden. Das wird auch heißen, dass wir (die Nicht-Kaffee-Arbeiter) bestimmte Dinge bewusst nicht mehr produzieren oder weniger produzieren. Völlig willkürliches Beispiel: Ladegeäte für Smart-Phones. Solche Produkte habe ich noch nie in den Fairtrade-Regalen gesehen. Ich habe die Befürchtung: Der Fair-Trade-Konsument will den Kaffeebauern auf den Kaffee-Anbau festnageln. Weil er das so idyllisch findet, dass andere Menschen in bunten Kleidern in der Natur an der frischen Höhenluft arbeiten. Mit Brüderlichkeit hat das nichts zu tun.

Noch ein anderer Aspekt: Fair-Trade ist von oben herab: Wir nehmen die niedrigen Löhne der Kaffee-Bauern ins Auge und wollen diesen helfen, unsere eigenen Einkommen und deren Rechtfertigung schauen wir uns aber nicht an. Beides hängt jedoch so eng miteinander zusammen, wie die Vorder- und Rückseite einer Münze. Anders formuliert: Kann sich denn der Kaffee-Arbeiter faire Produkte leisten? Nach obigen Zahlen wohl eher nicht. Oder noch krasser gedacht: Wie wäre es, wenn sich der Kaffeearbeiter in Honduras ein faires Auto kauft, um damit die Situation der deutschen Auto-Arbeiter zu verbessern? Wie fühlt sich alleine schon dieser (verrückte?) Gedanke an?

Die heutige Art von fairem Handel geht nur aus einer wirtschaftlichen Überlegenheit heraus. Wirtschaftliche Ungerechtigkeit ist sozusagen die Voraussetzung, damit diese Art von fairem Handel funktionieren kann.

Ein wirklich brüderliches Wirtschaften kann aber nur auf Augenhöhe geschehen. Da müssten wir uns ehrlich die Preise, nicht nur für Kaffee, sondern auch für alle anderen Produkte ansehen. Da bräuchten wir nicht nur den Fair-Trade-Aufkleber auf der Kaffee-Tüte, sondern auch eine genaue Auflistung, wer wie viel von deren Preis erhält. Mein böser Verdacht: Vieles von dem Mehrpreis bleibt in den Handelsstrukturen hängen. Was per se nicht unbedingt schlimm sein muss, wenn es sich aus fairem Leistungsaustausch aller Beteiligten ergibt.

Und selbst das Rezept von oben (Kaffee-Arbeiter stellen Ladegeäte her) kann nicht funktionieren, weil es nur ein Rezept wäre. Brüderlich wirtschaften hieße, dass man sich den (Welt)handel unvoreingenommen ansieht und miteinander spricht (Assoziationen). Und dass man nicht nur auf den Handel und die Wirtschaft starrt, und diese aus sich heraus reformieren will. Sondern dass man nicht umhin kommt, sich auch die Rechtsverhältnisse der Menschen untereinander anzusehen und weiterhin zu erkennen, dass nur aus einem gesunden Geistesleben heraus wirklich fruchtbare wirtschaftliche Maßnahmen entstehen können. Rechtsleben wäre zum Beispiel, wem der Boden und die Struktur gehört, und ob legitim ist, aus Besitztiteln Einkommen zu generieren.

Ein positiver Aspekt bei Fair-Trade ist, dass im vorab Preise vereinbart werden und der Anbieter so weniger den kurzfristigen Preisschwankungen ausgeliefert ist. Im großen Stil kann das aber nur funktionieren, wenn die Endkunden sich verbindlich zum Kauf verpflichten. Das ginge dann wirklich in die Richtung „bewusst wirtschaften“ und weg von „die unsichtbare Hand regelt alles“. Dieses Konzept ist im fairen Handel auch nicht unbekannt.

Meine böse Quintessenz: Per Fair-Trade kaufen wir uns ein gutes Gewissen. Wir ändern weder wirtschaftlich, rechtlich noch geistig etwas, setzen da noch nicht mal mit fruchtbaren Fragen an. Andererseits KÖNNTEN Gehversuche im Fairen Handel als zartes Pflänzchen gesehen werden, dass sich Konsumenten und Produzenten bewusst austauschen. Dass es uns nicht mehr egal ist, wie es unseren Wirtschaftspartnern geht. Wessen Bewusstsein allerdings beim Fair-Label selbstzufrieden endet, der trägt sicher nicht dazu bei. Wer hier nur erste Gehversuche sieht, und die Sache weiter entwickelt, wird hoffentlich zu einem wirklich solidarischen Wirtschaften kommen.

Ein Schritt in diese Richtung könnte es zum Beispiel sein, die Preisverhältnisse bzw. Einkommensverhältnisse, die ich hier nur ganz grob abschätzen konnte, systematisch zu untersuchen (b).

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Hinweis auf einen sehr differenzierter Artikel, der widersprüchliche Aspekte des des fairen Handels darstellt:

Matthias Schmelzer Fairer Handel und Freier Markt https://www.dreigliederung.de/essays/2007-01-001.



a) Rudolf Steiner - Nationalökonomischer Kurs GA340

„Wird der Preis irgendeiner Ware, irgendeines Gutes zu billig, so daß diejenigen Menschen, welche das Gut herstellen, nicht mehr in der entsprechenden Weise für ihre zu billigen Leistungen, für ihre zu billigen Ergebnisse Entlohnung finden können, dann muß man für dieses Gut weniger Arbeiter einstellen, das heißt die Arbeiter nach einer anderen Beschäftigung ableiten.



b) Gerechte Preise durch Preistransparenz - Fairer Handel für alle

https://www.dreigliederung.de/essays/2004-02-003

Sylvain Coiplet plädiert für Preistransparenz. Interessant ist die Argumentation im letzten Absatz, die ich allerdings nicht nachvollziehen kann: Höhere Preise würden nicht zu einen Überproduktion führen, sondern Mehreinnahmen würden dazu verwendet, sich von Kaffee unabhängig zu machen. Im Jahr 2000 sah Coiplet hingegen noch eher die Gefahr eines Preisverfalls durch Überproduktion: https://www.dreigliederung.de/news/00113000





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