Wie früher der Bauer im Herbst die Kartoffeln erntete als Frucht seiner Arbeit, so erntet heute der berufstätige am Monatsende sein Einkommen. Dieses Bild prägt meistes unsere Vorstellung von der Natur des Einkommens. Dieses archaische Bild ist eingängig. Dieses Bild geht jedoch an der Realität vorbei. Es verleitet zu falschen Rezepten in gesellschaftlich wichtigen Fragen.
Ein großer Unterschied zwischen Kartoffeln und Geld ist folgender: Das Einkommen des einen sind immer die Kosten des anderen. Im Gegensatz zur Ernte, die unabhängig vom Ertrag auf den anderen Feldern ist. Die Ernte des einen ist mitnichten der Ausfall des anderen. Beim Gehalt verhält sich dies fundamental anders. Denn was der eine einnimmt, muss der andere ausgeben. Die Kosten des einen stellen das Einkommen des anderen dar.
Aus dem falschen Verständnis von dem Einkommen als Ernte entstehen folgenreiche Irrtümer.
Irrtum 1: „Es ist gut für die Gesellschaft, wenn die Einkommen steigen.“ Da die Einkommen des einen immer die Ausgaben des anderen sind, ändert sich volkswirtschaftlich in der Summe nichts, wenn sich Einkommen erhöhen. Die Forderung nach höheren Einkommen für alle ist die moderne Version von Münchhausen, der sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen hat. Nur leider nicht so lustig, da sie vom Blick auf die wirklichen Verhältnisse ablenkt. Ganz anders bei der Ernte, wo es der Gesellschaft umso besser geht, je reicher die Ernten sind.
Dies ist streng zu unterscheiden von der Steigerung der Produktivität. Steigt die Produktivität, dann kann es allen besser gehen.
Irrtum 2: „Jeder muss von seinem eigenen Einkommen leben können.“ Da das Einkommen des einen immer die Kosten des anderen sind, kann keiner davon leben. Wie auch, wenn doch die Summe des gesamten Geldes (in etwa) gleich bleibt. Deshalb kann natürlich keiner von seinem Einkommen leben so wie der Bauer von seinen Kartoffeln lebt, die jedes Jahr neu nachwachsen.
Irrtum 3: „Wir brauchen Arbeitsplätze, damit die Menschen für sich selber sorgen können.“ Genau anders rum wird ein Schuh daraus: Wir brauchen Arbeitsplätze, damit die Menschen für andere sorgen können. Oder etwas vorsichtiger formuliert: Jeder Mensch soll die Möglichkeit haben, in den Leistungsaustausch einzutreten, keiner soll ausgeschlossen werden.
Irrtum 4: „Wer sein Gehalt spart, der sorgt vor wie der kluge Bauer, der bei guter Ernte für Notzeiten einlagert.“ Wenn der Bauer in Notzeiten von seinen Vorräten zehrt, dann fällt er nicht seinem Nachbarn zur Last, bei dem er betteln müsste. Genau das tut aber der moderne Sparer: In Notzeiten tritt er mit dem gesparten Geld an die Gesellschaft heran, die dann für ihn zusätzlich etwas produzieren soll.
Wer also das Gehalt als die Ernte der Arbeit betrachtet, muss sich nicht wundern, wenn die Folgerungen, die er daraus zieht, unfruchtbar oder gar schädlich sind.