Wolfgang Feist, bekannt als Pionier der energiesparenden Passivhaus-Bauweise, widmet sich in einem Beitrag der Frage nach den Grenzen des Wachstums.
Zunächst räumt er mit der Furcht vor exponentiellem Wachstum auf. Sicher, exponentielles Wachstum kann langfristig nicht funktionieren. Es gibt aber gar kein langfristiges exponentielles wirtschaftliches Wachstum! Vielmehr wächst die Wirtschaft zum Beispiel in Deutschland seit 1950 ziemlich streng linear. Es gibt also nicht jedes Jahr einen konstanten prozentualen Zuwachs, sondern nur einen konstanten absoluten Zuwachs, der heute nicht anders ist also vor 70 Jahren. Abweichungen in einzelnen Jahren heben sich untereinander auf. Damit ist Wachstum wesentlich zahmer, als es bei einem exponentiellen Wachstum der Fall wäre.
(In den 50er und 60er Jahren lag das Wachstum bei über 5 %. Es lässt sich schnell nachrechnen: Wäre die Wirtschaft bis heute jährlich um 5 % gewachsen, dann wäre unser Inlandsprodukt heute mehr als 4 mal so groß, wie es tatsächlich ist.).
Anders formuliert, der prozentuale Zuwachs ist jedes Jahr gesunken - auch wenn manche Menschen diese Tatsache jedes Jahr aufs neue beklagen. Und wer exponentielles Wachstum bekämpft, kämpft gegen Schatten.
Aber warum steht Feist, der sich ja durchaus für Ressourcenschutz interessiert und engagiert, diesem langsamen Wachstum, das ja durchaus noch ein Wachstum ist und langfristig auf ein unendlich hohes Sozialprodukt hinausläuft, das alle Ressourcen verschlingen muss, so gelassen gegenüber?
Kritisch ist nicht das Wirtschaftswachstum an sich, sondern der Verbrauch an endlichen Rohstoffen. Allerdings ist es bisher unentwegt gelungen, mit weniger Rohstoffeinsatz mehr zu produzieren. Feist hat selber Maßstäbe gesetzt, wie man mit immer weniger Energie Häuser behaglich warm hält. Und er erinnert an andere Beispiele der Effizienzsteigerung: Elektrolokomotiven verbrauchen weniger Energie als Dampflokomotiven. Autos fahren sparsamer. Alleine durch die Verlängerung der Lebensdauer von Produkten sind Materialeinsparungen möglich, deren Ende gar nicht abzusehen ist.
Feist folgert: Wenn die Effizienz sich verbessert, dann ist im gleichen Maße eine Erhöhung des Konsums möglich, ohne mehr Ressourcen zu verbrauchen als bisher. Und wenn wir in den nächsten Jahren den Konsum weniger erhöhen, als die Effizienz steigt, dann erreichen wir bald das Stadium der Nachhaltigkeit und verbrauchen nur noch so viel Ressourcen, wie es ökologisch vertretbar ist.
Feist beweist nebenbei streng mathematisch, dass wir sogar unendlich lange begrenzte Ressourcen verbrauchen können: Wenn dieser Verbrauch Jahr für Jahr zurückgeht, werden bis in alle Ewigkeiten begrenzte Ressourcen übrig bleiben. (wenn z.B. jedes Jahr 2% weniger verbraucht wird als im Vorjahr, dann würde ein „Vorrat“ in Höhe des 50-fache des heutigen Jahresverbrauchs ewig reichen).
Diese kleine mathematischen Spielerei ist aber wohl eher nebensächlich. Die zentrale Aussage des Beitrags ist, dass wir je nach Effizienzverbesserungen einen fast beliebig hohen Konsum nachhaltig uns leisten können.
Von alleine kommen diese Effizienzverbesserungen nicht zwingend, und von alleine muss die Wachstumsrate nicht kleiner sein als die Effizienzverbesserungen. Feist appelliert an die bewusste Gestaltung durch den Menschen.
Mit der bewussten Gestaltung des Menschens rechnet er auch noch an einer anderen Stelle: „Ab dann [wenn wir nur noch nachwachsende Ressourcen verbrauchen] kann das weitere Wohlstandswachstum, so wir ein solches wollen, dem Zuwachs an erneuerbarer Erzeugung folgen; vielleicht haben wir dann aber auch soviel Spaß an den Effizienzansätzen gefunden, dass wir auch diese darüber hinaus fortsetzen und dann so noch mehr Raum für weiteres Wachstum schaffen.“
Frei übersetzt und etwas erweitert: Ob die Wirtschaft dann weiter wächst oder nicht ist unsere Entscheidung. Wir könnten dank Effizienzverbesserung weiter wachsen, ohne Ressourcenvebrauch. Wir könnten uns aber auch dazu entscheiden, trotz weiterer Effizienzverbesserung nicht wachsen aber dafür weniger zu arbeiten. Oder wir könnten dann (wenn Nachhaltigkeit erreicht ist) alles so lassen wie es dann ist, und bei gleichbleibendem Konsum die Effizienz nicht mehr weiter verbessern.
Ökologisch gesehen sind diese Möglichkeiten gleichwertig, solange wir nicht den Irrweg gehen, und den Konsum mehr wachsen lassen als es die Effizienzsteigerung ermöglicht.
Der Beitrag ist seiner Natur nach eher abstrakt und mathematisch. Ob und wie man dann ganz konkret den Mehr-Verbrauch von zum Beispiel Lithium mit dem weniger-Verbrauch von Erdöl vergleichen kann, sei dahingestellt. Aber im Prinzip halte ich die Argumentation für solide.
Feist vertritt keineswegs die Theorie: „Keine Sorge, die Technik wird schon alles richten, weil alles immer besser und effizienter wird“. Ein bewusstes Gestalten durch den Menschen hält er für unabdingbar.
(Dez 2024)